von Kourosh Ghaffari
„Früher war mehr Lametta“. An diesem Spruch aus einem Loriot-Sketch musste ich unwillkürlich denken, als ich vor meinem inneren Auge die Entwicklung des internen Rechnungswesens über die letzten Jahrzehnte Revue passieren ließ.
Als ich Anfang der 1990er meine ersten Firmenkunden bekommen habe, habe ich diese Situation vorgefunden:
Das interne Rechnungswesen meiner mittelständischen Kundschaft war in der Regel eine einzige Katastrophe, aber auf die Prognosen des Unternehmers war weitestgehend Verlass. Das berühmt-berüchtigte Bauchgefühl der Nachkriegsgeneration-Manager!
Relevante Unternehmensdaten statt Standard-Finanzberichte
Damit einhergehend war auch, dass das Periodendenken m.E. nicht so stark ausgeprägt war.
Der Periode widmete der Unternehmer im Zuge der Bilanzerstellung nur einmal im Jahr – seltener unterjährig – seine Aufmerksamkeit.
GuV und Bilanzen waren primär für den Banker und das Finanzamt und galten nicht als Managementinformationssystem.
Der Top-Manager von damals hat sich von seinen operativen Mitarbeitern – wie wir heute sagen würden – „relevante KPIs“ vorlegen lassen.
Seit den 90ern sind die obigen Auffälligkeiten m.E. nach und nach einer anderen Auffälligkeit gewichen: Die IT-Landschaft wurde immer smarter, das interne Rechnungswesen immer besser, das Periodendenken immer obligatorischer und die Prognosen immer schlechter!
Vergangenheitsberichte statt Blick nach vorne
Provokativ formuliert: Der Top-Manager von heute muss abwarten, bis eine abgelaufene Periode verbucht ist, damit er irgendetwas dazu sagen kann, wie es um sein Unternehmen steht.
Die verbuchte Vorperiode dient dann als Grundlage der Prognose/Planung der künftigen Periode.
Das Bauchgefühl ist gänzlich ersetzt durch Formeln und Statistiken. Der Top-Manager hat somit kein Gefühl dafür, ob die ausgeworfenen Zahlen sinnvoll oder realistisch sind.
Der Unternehmer von damals hat intuitiv das gemacht, was wir Menschen eigentlich im Blut haben: Wir halten im komplex-kausalen Umfeld Ausschau nach Auffälligkeiten, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was wahrscheinlich auf uns zukommen wird.
Ich erinnere mich an Sätze wie: „Diese Ecke vom Lagerraum ist noch nicht aufgeräumt. Wenn meine Mitarbeiter noch nicht dazu gekommen sind, bedeutet es, dass wir wieder über die Marke XY Stückversand liegen werden.“
Der Schreibtisch ist zu weit von der Basis entfernt
Wie soll der Controller im Unternehmen von seinem Schreibtisch aus eine solche Auffälligkeit erkennen, abbilden und evaluieren?
Es ist in der Tat sehr bedauerlich, dass wir im Berufsleben dem Bauchgefühl keine Beachtung mehr schenken und nicht in dessen Stärkung investieren.
Stattdessen wird weiter fleißig in IT-lisierung und Entkopplung vom menschlichen Faktor investiert.
Eine weitere Auffälligkeit ist die irrationale Obsession mit dem Thema Umsatz, die man m.E. hierzulande verstärkt vorfindet.
Im anglosächsischen Raum spielt hingegen Cashflow eine deutlich prominentere Rolle wie auch die folgenden Redewendungen gut verdeutlichen:
[tweetthis]“Sales is vanity, profit is sanity, cash is reality.”[/tweetthis]
(„Umsatz ist Eitelkeit, Gewinn ist gesunder Verstand, Liquidität ist Wirklichkeit“)
[tweetthis]“Earning is an opinion, cash is fact.”[/tweetthis]
(„Gewinn ist eine Meinung, Liquidität ist eine Tatsache.“)
Umsatz ist in der Tat ein recht unbedeutender Prozessschritt in einer langen Kette von Aktivitäten, nämlich der Rechnungsversand.
Umsatz ist noch nicht Liquidität
Wir versenden eine Rechnung, buchen einen Umsatz, erhöhen den Gewinn und dabei ist faktisch noch kein Euro Geld eingegangen. Hingegen sind die Löhne und Gehälter und die Miete in der gleichen Periode faktisch rausgeflossen.
Warum diese unlogische Obsession da ist, kann ich nicht beantworten.
Meine Mutmaßung: Vermutlich ganz banal, weil Umsatz im externen und internen Rechnungswesen ganz oben steht und alles andere in Relation dazu drunter dargestellt wird.
Apropos Geldeingang, auch hier war m.E. der Unternehmer früher viel häufiger höchst persönlich dahinter, um sicherzustellen, dass Cash in die Tasch‘ kommt.
Heutzutage erscheint es mir eher die Regel, dass der Unternehmer sich erst erkundigen muss, um mir sagen zu können, welche Leistungen noch nicht abgerechnet und welche Summen wie lange bereits ausstehend sind.
Finanzsprech als Fremdsprache, nicht als Muttersprache
Umsatz- und Perioden-Sprech muss der Unternehmer darauf haben, denn das ist die Sprache, auf die „man“ sich nun einmal geeinigt hat.
Es ist wichtig, gegenüber dem Banker in dieser Sprache als Muttersprachler aufzutreten und den Eindruck zu vermitteln, dass man abends am liebsten mit Bilanz und GuV unterm Kopfkissen schlafen geht.
Auch ist das Thema rechtlich durchaus von Relevanz, damit man nicht auf dem falschen Fuß erwischt wird, wenn man per Stichtag plötzlich buchhalterisch als überschuldet dasteht.
Prozesse wichtiger als Periodendenken: Chefsache!
Als Unternehmensführungsinstrument ist diese Sichtweise jedoch weitestgehend irrelevant.
Was m.E. relevant ist, dass man die eigenen Prozessabläufe versteht und man sich intern einig ist, welche Tätigkeit in jedem Prozessschritt wie lange dauern und kosten darf.
Prozessdenken und Periodendenken widersprechen sich und sind nicht kompatibel!
Damit einhergehend ist m.E. relevant, dass das Management vom Geldzyklus des Unternehmens zur höchsten Chefsache erklärt wird.
Der Buchhalter und der Controller können nur wenig dagegen ausrichten, wenn der Vertrieb wieder einmal die zu überprüfenden Mahnschreiben liegen lässt oder lieber mit seinem Kunden über Umsatz redet, anstatt über fällige Rechnungen.
Diesen Kulturwandel einzuleiten, ist in der Tat Chefsache.
Über den Autor:
Kourosh Ghaffari ist Unternehmer-Sparringspartner. Er bloggt regelmäßig substanzielle neue Ideen und Ansätze im unternehmerischen Denken.
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